Chat-Transkript vom 06.08.2012

Valentina Kerst, SPD-Netzpolitikerin

Thema: Liquid Democracy

: Valentina_Kerst hat den Raum betreten
: Valentina_Kerst hat den Raum betreten
: Valentina_Kerst hat den Raum verlassen
: Valentina_Kerst hat den Raum betreten
: rMS hat den Raum betreten
rMS: Guten Abend, Frau Kerst, ich heisse Markus Schaal, bin ein Redakteur bei dol2day, und ich moderiere heute abend den Chat.
rMS: Ach, wir sind ja noch gar nicht online ... *g*
Valentina_Kerst: :)) Hallo Herr Schaal, kein Problem. Zum Warmlaufen ist das doch ganz gut :))
rMS: Sie können auch eine Farbe wählen, obwohl die Software schon ein wenig in die Jahre gekommen ist :-)
Valentina_Kerst: Dann nehme ich doch einmal lila oder auch "SPD-purpur".
rMS: Vielleicht könnten Sie sich kurz vorstellen (nachdem ich Sie ja schon begrüsst habe) und dann auch eine Definition von Liquid Democracy geben für diejenigen Mitleser, die den Chat mit Johannes Ponader (Piraten) verpasst haben und sich auch sonst noch nicht informieren konnten ... ?
Valentina_Kerst: Alles klar. Also zunächst einmal noch einmal einen Guten Abend! Freue mich, heute im Chat dabei zu sein. Ich bin Diplom-Kauffrau (FH) und arbeite nun seit mehr als 10 Jahren in der Internetwirtschaft. Seit 1998 bin ich in der SPD aktiv, seit einigen Jahren besonders im Bereich Netzpolitik.
rMS: Dann auch von mir nochmal einen schönen Guten Abend! Ich freue mich, Sie heute bei uns begrüssen zu dürfen und bin gespannt auf die neuen Perspektiven zu Liquid Democracy, die wir heute abend gemeinsam erarbeiten werden.
Valentina_Kerst: Was bedeutet Liquid Democracy? Liquid Democracy bedeutet eine neue Form der Entscheidungsfindung, um die direkte und repräsentative Demokratie zu verzahnen. Dabei wird dies in der Regel mit dem Internet und digitalen Möglichkeiten in Verbindung gebracht. Freie Software wie Liquid Feedback zum Beispiel.
rMS: Im Grunde bedeutet Liquid Democracy also, dass ich jederzeit entscheiden kann, ob ich selbst abstimme, oder ob ich mich vertreten lasse? Kann ich auch bestimmen, durch wen ich mich vertreten lasse?
rMS: Und dann im Anschluss hier die erste Frage ...
Moderator: Frage von Teufel100 an Valentina Kerst:    "Schade das heute das Leistungsschutzrecht nicht das Thema ist, also werde ich auch keine Frage dazu stellen. Zum Thema "Liquid Democracy" - inwieweit könnte sich die SPD vorstellen, ein solches System für Partei zu realisieren?"
Valentina_Kerst: Nun ja, nicht ganz. Es ist zu unterscheiden, ob Sie am Ende tatsächlich entscheiden oder eher eine Meinung abgeben. In vielen Fällen ist der Prozess momentan eher wie folgt: Direkte Demokratie für die Meinungsbildung, die repräsentative entscheidet.
Valentina_Kerst: Ja, das Leistungsschutzrecht. Dazu sollten wir einen separaten Chat machen :)
Moderator: Frau Kerst, wir können gerne einen Termin vereinbaren ... später! ;-)
Valentina_Kerst: http://www.spd.de/aktuelles/News/16236/20110804_onlineantrag_netzpolitik_gruenderkultur.html
Valentina_Kerst: Ups. Jetzt wird nur der Link und nicht mehr der gesamte Text angezeigt :(
Valentina_Kerst: Also dann noch einmal : ) Ja, die SPD ist offen für Liquid Democracy. Nachdem wir den Antrag zum Bundesparteitag (Link oben) gestartet haben, haben wir gesehen, wie viele Ideen zusammenkommen und es war klasse, den Antrag nicht nur "alleine" zu schreiben.
Valentina_Kerst: Die SPD-Fraktion startete in diesem Jahr den Zukunftsdialog (Link kommt gleich). Dort gibt es bereits fast 2.000 Mitglieder, die Anregungen und Ideen einbringen. Das finde ich sehr gut!
Valentina_Kerst: https://zukunftsdialog.spdfraktion.de/
Moderator: Frage von Teufel100 an Valentina Kerst:    "In Friesland wird ja jetzt bald ein Versuch mit LiquidFeedback starten, wird das noch weitere Kommunen geben, wo so ein System instaliert wird?"
Valentina_Kerst: Ich hoffe doch sehr! Friesland geht da einen Schritt in die richtige Richtung. Ich denke, dass es eine konsequente Weiterentwicklung der bisherigen Bürgerhaushalte ist, die es ja bereits in vielen Kommunen gibt.
Moderator: Frage von Teufel100 an Valentina Kerst:    "Sollen die Systeme dann auf die Partei beschränkt bleiben, oder werden sie für die Bevölkerung geöffnet? (Bezieht sich auf Frage 1 ;-) )"
Valentina_Kerst: Beides muss sich nicht ausschließen. Wir haben bisher aber eher Systeme gesehen, die für die Bevölkerung geöffnet sind. Also Anträge und Initiative erarbeiten oder Ideen einbringen. Ich denke, dass es für die Parteien intern eine größere Herausforderung ist. Das liegt insbesondere auch daran, dass wir in den Parteien gewohnt sind, uns zu treffen um Ideen und Anträge zu erarbeiten. Da ist die Unterstützung online nicht zwingend notwendig. Doch das ändert sich zunehmend. Hier in Köln kann ich berichten, dass wir immer stärker online zusammenarbeiten und damit auch effektiver sind.
Moderator: Frage von SBF_ an Valentina Kerst:    "Ist Liquid Democracy nicht eher ein träges und anfälliges System der politischen Entscheidungsfindung? Birgt die Delegation auf Dritte nicht die Gefahr der Manipulation?"
Valentina_Kerst: "Gefahr der Manipulation" - Gut umschrieben. In der Tat kann berechtigte Kritik daran geäußert werden, dass besser situierte Menschen sich diese Systeme zu Nutze und so für sich bessere Lobbyarbeit machen können. Das ist ein Problem, welches ich ebenfalls kritisch beobachte. Aber ich bin dennoch optimistisch. Wir müssen zwei Dinge erreichen: 1. Repräsentative und direkte Demokratie stärker miteinander zu verzahnen. 2. Liquid Democracy populärer machen. Ich bediene mich tatsächlich dieser Wortwahl, da ich davon überzeugt bin, dass viel zu wenig in Medien, Politik und Gesellschaft darüber gesprochen wird.
Moderator: Hier noch eine Frage zum Thema von vorher bezüglich Realisierung in den Parteien:
Moderator: Frage von Teufel100 an Valentina Kerst:    "Das mit den treffen wird doch aber immer schwieriger, umso höher die Gesetzgebene Ebene ist. Hier sind zum Beispiel sozial schwache Parteimitglieter ausgeschlossen, weil sie sich die Reisekosten nicht leisten können. Wäre hier ein internes System nicht ein riesen Fortschritt?"
Moderator: Und hier noch eine Anknüpfung an das Thema Manipulation/ Fehlbarkeit ...
Moderator: Frage von SBF_ an Valentina Kerst:    "Was ist wenn Entscheidungen die durch die Liquid Democraty Modalitäten getroffen werden,konträr zum Parteiprogramm bzw festgelegten Beschlüssen stehen? Welche Gewichtung soll bzw. sollte dieses System haben und wie wird es gegen populistische "Schnellschüsse" geschützt?"
Valentina_Kerst: Absolut. Da bin ich ganz bei Ihnen. Im Rahmen meiner Tätigkeit in der Enquete Kommission "Demokratie und aktive Bürgerbeteiligung" in Rheinland-Pfalz haben wir z.B. festgestellt, dass Reisekosten eine extreme Hürde sind, um an Veranstaltungen und damit auch am Entscheidungsprozess teilzunehmen. Daher bin ich ein großer Verfechter, solche Systeme auch in der Partei einzuführen. Damit werden aber auch noch mehr Personen entlastet: Eltern oder auch Arbeitnehmer. Oder auch Behinderte. In einer Enquete-Anhörung zum Thema Barrieren gab es einen tollen Satz: "Im Internet bin ich nicht behindert."
Moderator: Direkt dazu passend ... und sorry, dass es momentan zwei Themenstränge gibt ...
Moderator: Frage von VIVA SCHALOM ! an Valentina Kerst:    "Ich arbeite im Bereich mit gehandicappten Menschen. dort ist Leichte Sprache ein Thema. Kann man das Thema liquid Democracy auch so darstellen, dass es möglichst viele verstehen ? Ich sehe die Gefahr, dass durch Fachsprache a la Sozialarbeiter eine Huis clos geschaffen wird."
Valentina_Kerst: Schauen wir nach BaWÜ. Dort hat es mit Stuttgart21 funktioniert. Der Bürger wusste, jetzt gibt es eine Entscheidung und die Politik wusste, dass sie sich daran halten muss. Dennoch wird es eine Problematik bleiben, wenn solche Konflikte auftreten. Ich denke, dass in den kommenden Jahren nicht mehr so gravierende Konflikte auftreten werden. Denn immer mehr Wahlprogramme werden gemeinsam mit dem Bürger geschrieben. Das bedeutet natürlich nicht, dass es zu gar keinem Konflikt mehr kommen wird. Aber die heißen Diskussionen werden so m.E. in Zukunft vorher geführt werden. Zum Besten für alle Beteiligten.
Valentina_Kerst: Wir befinden uns erst am Anfang von Liquid Democracy. Daher werden sich die Systeme und auch die Sprache nach und nach anpassen und nicht nur für eine Elite zugänglich sein. Denn ja, auch ich finde, dass die Usability der bisherigen Beteiligungsformen nicht gut ist. Da ist noch sehr viel Luft nach oben. Aber ich würde mir wünschen, dass alle gemeinsam an solchen Systemen arbeiten. Politik, Verwaltungen und Bürger. Denn nur so kann es funktionieren.
Moderator: Und nun die Gretchenfrage ...
Moderator: Frage von VIVA SCHALOM ! an Valentina Kerst:    "Wo sind die Unterschiede zwischen Piraten und Spd in der Sicht auf Liqquid Democracy "
Moderator: Zur Frage der Fehlbarkeit hat der Moderator noch eine Anmerkung, die gerne als Frage verstanden werden kann: Ist es nicht so, dass die Konfliktfreiheit von Liquid Democracy trotzdem einen wesentlichen blinden Fleck haben könnte, nämlich die Ignoranz von Expertise und rational richtiger Entscheidung? Birgt Liquid Democracy nicht die Gefahr, den Mainstream-Willen gegenüber dem rational besten Handeln zu bevorzugen?
Moderator: Frage von VIVA SCHALOM ! an Valentina Kerst:    "zu dem Satz : Im Internet bin ich nicht behuindert" darf man aber sagen, dass barrierefreie Internetauftritte noch rar sind. Achten sie auf ihren Seiten auf barrierefreieINternetpräsenz ? Muss da bei den Spd -Seiten nicht noch arg nachgebessert werden?"
Moderator: So, jetzt haben wir drei Stränge: Die Abgrenzung zu den Piraten, die Fehlbarkeit, und die Behindertenfreundlichkeit.
Valentina_Kerst: Ganz ehrlich: Die Quote der Mitglieder die mit diesen Systemen vertraut sind, ist in der Piratenpartei einfach höher als in der SPD. Und wenn wir uns die Mitgliederzahlen (Piraten ca. 34.000 zu ca. 484.000 SPD-Mitgliedern) anschauen, dann ist dieser Umstand auch nicht verwunderlich. Wir sind eben eine Volkspartei, in der es viele Mitglieder gibt. Aber das ist auch vollkommen okay so. Mein Engagement in der SPD besteht u.a. auch darin, Lobbyarbeit für das Internet zu machen. Und das funktioniert wunderbar.
Moderator: Da keine weiteren anknüpfenden Fragen vorliegen, würde ich Sie, Frau Kerst, gerne bitten, die beiden offenen Fragen noch kurz zu beantworten, auch wenn uns das ein bischen über das avisierte Chatende von 20 Uhr bringt. Ist das in Ordnung?
Valentina_Kerst: Barrierefreiheit wird m.E. am ehesten von öffentlichen Einrichtungen durchgeführt. (Natürlich weil sie es müssen.) Ansonsten sieht es zum Teil nicht so gut aus. Die SPD im Bund achtet natürlich darauf, jeder einzelne Ortsverein versucht es nach seinen eigenen Möglichkeiten. Daher begrüße ich es sehr, wenn sich in Zukunft HTML5 und CSS3 weiter verbreiten.
Valentina_Kerst: Gar kein Problem. Die Tagesschau kann ich später in der Mediathek anschauen....
Moderator: Dann verbleibt nur die Neugier des Moderators zur Fehlbarkeit von Liquid Democracy ... wohl wissend, dass ich auf dem Holzweg sein könnte ;-) Und danke für den Tipp mit der Mediathek :-)
Valentina_Kerst: @Fehlbarkeit: Wir haben auch heute schon eine unglaubliche Anzahl an Lobbyverbänden, die ihre Interessen vertreten. Jetzt kommt auch noch der Bürger?!?! Meine Antwort: Ja. Es wird ein neuer Politikertyp benötigt, der in Zukunft viel stärker Meinungen differenzieren und dennoch rationale Entscheidungen treffen kann. Der "Job" der Politiker wird nicht einfacher, sondern komplexer. Darüber hinaus bin ich noch nicht davon überzeugt, dass momentan durch Liquid Democracy der Maintream-Wille geäußert wird. Es handelt sich heute um eine Elite. Als SPD-Mitglied ist es natürlich so, dass ich auch darauf schaue, was wollen die Menschen, die sich nicht im Netz artikulieren?
Valentina_Kerst: Fazit: Fehlbarkeit wird man nie ganz ausschließen können. Das war früher und ist heute allerdings nicht anders.
Moderator: Ich glaube auch nicht unbedingt, dass Liquid Democracy den Mainstream-Willen äussert, es könnte auch die Intelligenz der Masse sein. Umgekehrt könnte der Status Quo den Mainstream-Willen der Regierungsparteien abbilden ... etc. pp. .... wollte das Thema nur ankratzen ... :-)
Valentina_Kerst: Alles klar.
Moderator: Wie dem auch sein ... Frau Kerst, vielen Dank für die Zeit und die guten Antworten. Gerne würden wir mit Ihnen in Kontakt bleiben. Auch dol2day stehen spannende Monate der Umgestaltung bevor :-)
Moderator: Frage von Teufel100 an Valentina Kerst:    "Anmerkung: 1 Stunde ist zu wenig... ;-) - (mit dem Wissen, dass noch Fragen vorhanden sind)"
Moderator: Frage von Teufel100 an Valentina Kerst:    "Ich bedanke mich für den netten Chat und vielleicht können wir noch einen über das Leistungsrecht machen ;-)"
Moderator: Vielen Dank auch an die 3 Fragesteller aus der Community, etwas weniger Schüchternheit wäre angesagt :-)
Valentina_Kerst: Vielen Dank an Sie! Es hat großen Spaß gemacht. Ja, 1 Stunde ist wirklich zu wenig : ))) Würde mich freuen, wenn wir in Kontakt bleiben. Das Angebot mit dem Leistungsschutzrecht steht auf jeden Fall: )) Schönen Abend noch!
Moderator: Ich verabschiede mich an dieser Stelle und erstelle das Transkript. Schönen Abend.
Valentina_Kerst: Falls jemand aus Köln kommt, ist herzlich zum Forum Netzpolitik der KölnSPD eingeladen: www.forumnetzpolitik.de Nochmals vielen Dank für diesen kurzweiligen Chat! Gerne wieder.
: Valentina_Kerst hat den Raum verlassen