Chat-Transkript vom 05.05.2010

Jan Philipp Albrecht, Mitglied des Europaparlaments

Thema: Bürgerrechte und Datenschutz in Europa

: Helmut_Rau hat den Raum betreten
: Helmut_Rau hat den Raum verlassen
: Helmut_Rau hat den Raum betreten
: Helmut_Rau hat den Raum verlassen
: Jan_Philipp_Albrecht hat den Raum betreten
Jan_Philipp_Albrecht: Einen wunderschönen guten Abend!
: Moderator hat den Raum betreten
Moderator: Hallo
Moderator: Entschuldigen Sie bitet die Verspätung.
Moderator: Ich hatte technische Probleme.
Moderator: Also, heute zu Gast ist Jan Philipp Albrecht, MdEP, grüne
Moderator: zum Thema Bürgerrechte und Datenschutz in Europa
Moderator: Herr Albrecht, wollen Sie sich noch kurz vorstellen?
Moderator: Herr Albrecht, wollen Sie sich noch kurz vorstellen?
Jan_Philipp_Albrecht: Gerne. Ich komme aus der niedersächsischen Kleinstadt Wolfenbüttel und bin mit 27 Jahren seit Sommer 2009 der jüngste deutsche Abgeordnete im Europäischen Parlament. Dort bin ich als Mitglied im Innen- und im Rechtsausschuss für Justiz, Inneres und Recht - insbesondere bürgerliche Freiheiten und Datenschutz zuständig.
Moderator: Dankeschön. Ich hatte schon Befürchtungen, durch meine Verspätung sei der Chat geplatzt.
Moderator: Ich habe direkt eine erste Frage aus der Community, bei der ich gespannt bin...
Moderator: Frage von felix1902 an Jan Philipp Albrecht:    "Hallo: Was sind denn das für Berichte die durch die Gegend geistern du wärst während einer USA Reise plötzlich geheimnisvoll verschollen? Blöder Scherz den ich nicht kapiert habe oder was ist da passiert?"
Jan_Philipp_Albrecht: Das ist tatsächlich ein Scherz einer Bloggerein, die ein Foto von mir mit Anzug gesehen hat, dass auf der Delegationsreise entstanden ist.
Moderator: Dann sind wir ja beruhigt.
Moderator: Noch eine Frage von mir: Was kann Europa (die EU) besser beim Thema Datenschutz? Und umgekehrt: wo lauern die europäischen Gefahren?
Jan_Philipp_Albrecht: Die geltenden Bestimmungen zum Datenschutz stammen ursprünglich "aus" Europa. Denn mit der Konvention 108 des Europarats wurden die ersten verbindlichen Datenschutzbestimmungen erlassen, die in Folge dessen in den Rechtsrahmen der EU und ihrer Mitgliedstaaten eingeflossen sind. Insbesondere übrigens in die EU-Datenschutzrichtlinie, die den Referenzrahmen zum Umgang mit persönlichen Daten bildet. Die Gefahr dabei ist allerdings, dass gerade durch die Internationalität elektronischer Datenverarbeitungssysteme und politischer Herausforderungen ein Herabsetzen dieser Standards auf international zu erreichende Mineststandards stattfindet.
Moderator: Die Bürger haben zumeist auch Angst vor einer zentralen Datensammlung - wie sieht es da mit Europa aus?
Jan_Philipp_Albrecht: In Europa, oder zumindest in Kontinentaleuropa, haben wir aus unterschiedlichen historischen Erfahrungen eine prinzipielle Ablehnung zentraler Datenspeicherungen, was sich auch in rechtlichen Bestimmungen (auch den Datenschutzprinzipien) wiederspiegelt. M.E. sollte das auch unbedingt so bleiben, denn die Gefahr von Missbrauch und Willkür ist gerade durch die Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung noch größer geworden. Dennoch sehen wir auch in der EU einen Trend, Datenbanken zusammenzulegen - zumdindest aber gemeinsam zu verwalten - und einen Zugriff für Behörden nach dem Prinzip der Verfügbarkeit zu gewähren. Letzteres ist ein im Zuge des 11. September 2001 durch die US-Administration entwickeltes Prinzip, dass sich leider immer weiter ausbreitet.
Moderator: Frage von Euronymous an Jan Philipp Albrecht:    "Herr Albrecht, sehen sie den Datenschutz ehr durch Staaten oder durch die Wirtschaft bedroht?"
Jan_Philipp_Albrecht: Sowohl staatliche Stellen, als auch private Akteure bedrohen die Datenschutzprinzipien und damit die informationelle Selbstbestimmung, die Privatsphäre und eine freie und demokratische Gesellschaft. Bei Privaten allerdings kann ich stets durch demokratische Regulierung eine Korrektur erreichen - es kommt auf den Willen an, gegen große und einflussreiche Unternehmen vorzugehen. Beim Staat allerdings sind Hopfen und Malz verloren, wenn erst einmal die Folgen eines mangelnden Datenschutzes eintreten. Denn ein Überwachungsstaat kontrolliert genau die, die ihn in die Schranken weisen sollten - die BürgerInnen.
Moderator: Frage von Ticho an Jan Philipp Albrecht: "Können Sie etwas zu SWIFT 2 sagen? Was bedeutet das für die Bürger?"
Jan_Philipp_Albrecht: Mit "SWIFT 2" meinen Sie (Du wäre auch OK!) wahrscheinlich die neuen Verhandlungen über ein Abkommen zur Weitergabe von Bankdaten an die USA. Nun, das Parlament hat das erste "SWIFT-Abkommen" abgelehnt, weil grundlegende Datenschutzregeln und Rechtsstandards nicht beachtet sind. Dazu gehört eben nicht nur die Datensicherheit, sondern vor allem die Verhältnismäßigkeit der Datenverarbeitung und ein wirksamer Rechtsschutz. Gegen die Weitergabe von Transaktionsinformationen tatsächlich verdächtiger Personen an Sicherheitsbehörden zum Zwecker der Terrorismusbekämpfung (bei entsprechenden Schutzstandards) haben nur wenige etwas. Der Unterschied ist aber: Sammle und tausche ich massenweise persönliche Daten unverdächtiger Personen und schaue dann, "was so drin ist", oder aber entscheide ich nach juristischer Überprüfung im Einzelfall, ob gezielt Informationen erhoben und weiterverarbeitet werden. Natürlich muss dies zur Zweckerreichung zudem auch überhaupt geeignet sein. Dazu fehlen bis heute ausreichend Beweise.
Moderator: Frage von Dhana an Jan Philipp Albrecht: "Muss man Unternehmen wie Google überwachen? (im Sinne von gegen große und einflussreiche Unternehmen vorgehen)"
Jan_Philipp_Albrecht: Ja, Unternehmen wie Google müssen vom Staat überwacht werden. Aus verschiedensten Gründen. Die beiden wichtigsten, die mir einfallen, sind eben die Einhaltung von Datenschutzregelungen im Umgang mit VerbraucherInnendaten und die Einhaltung von Wettbewerbsregelungen, wenn es um neue/bestehende "Produkte" geht. Es muss Grenzen zum Schutze von Individuen und Allgemeinwohl geben.
Moderator: Ist die Einführung von strikteren, für die Bürger besseren Grenzen geplant? (auf europäischer Ebene)
Jan_Philipp_Albrecht: Es kommt immer darauf an, wer plant. Schließlich gilt es dazu wohl, politische Mehrheiten zu erreichen. Allerdings gibt es positive Zeichen: Die EU-Kommission hat - auch auf unseren Druck hin - angekündigt (1) die Datenschutzrichtlinie von 1995 zu überarbeiten und an das Internetzeitalter anzupassen, (2) ein generelles Datenschutzabkommen für den Austausch von Informationen in der Sicherheitszusammenarbeit auszuhandeln, (3) die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ebenso wie viele andere Sicherheitsmaßnahmen der letzten Jahre zu evaluieren. Um nur drei von einigen Großbaustellen für diese "besseren Grenzen" zu nennen.
Moderator: Frage von Bimbiss an Jan Philipp Albrecht: "Muss auch mehr im Bereich Informationsfreiheit passieren?"
Jan_Philipp_Albrecht: Sicher! Wir kämpfen hier im EU-Parlament gerade aktiv für Informationsfreiheit in einigen Gesetzgebungsvorhaben (wie etwa dem internationalen Antipiraterieabkommen ACTA), das ist ein langer Streit. Es gibt da noch viel zu verbessern. Allerdings muss ich dazu sagen, dass anders als es vielleicht viele vermuten würden, die EU-Institutionen die transparenteste Ebene in Hinblick auf Informationsfreiheit sind. Nahezu alle Dokumente der EU sind im Internet für jede und jeden einsehbar. Das ist ein leuchtendes Vorbild für viele nationale, regionale und kommunale Institutionen.
Moderator: Frage von Euronymous an Jan Philipp Albrecht:    "Herr Albrecht, wie gestaltet sich eigentlich die Zusammarbeit mit den beiden Abgeordneten der schwedischen Piratenpartei in der grünen Fraktion? Wie bringen diese sich ein (persönlich / politisch)?"
Jan_Philipp_Albrecht: Die Zusammenarbeit mit den Abgeordneten der schwedischen Piratenpartei (wobei die zweite - junge - Piratin ist wegen der seltsamen Position Frankreichs in Bezug auf die durch den Lissabonvertrag zusätzlich einziehenden Abgeordneten noch nicht offiziell Abgeordnete!) gestaltet sich äußerst gut. Gemeinsam mit Christian Engström habe ich im Vermittlungsausschuss zum Telekom-Paket die wichtige Änderung zum Schutze vor sog. 3-Strikes-Methoden durchgesetzt und kämpfe gegen entsprechende Inhalte im ACTA-Abkommen und für eine Reform des Urheberrechts. Wir sitzen gemeinsam im Rechtsausschuss und verstehen und persönlich blendend! Wobei ich oft das Gefühl habe, dass er deutlich wirtschaftsliberaler und auch pragmatischer ist, als ich es bin.
Moderator: Wir sind leider schon am Ende des Chats angekommen. Ich bedanke mich, dass du trotz der Verspätung meinerseits geblieben bist und dich ausführlich den Fragen gestellt hast.
Moderator: Wenn es gefallen hat, dann empfehle dol2day.com gerne weiter.
Jan_Philipp_Albrecht: Sehr gerne wieder! Einen schönen Abend noch aus Brüssel.
Moderator: Ich wünsche weiterhin viel Erfolg und auch Spaß beim politischen Einsatz.
Moderator: Gruß nach Brüssel. Schönen Abend allen. Tschüss.
: Jan_Philipp_Albrecht hat den Raum verlassen