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Fragenübersicht Wie bewertest Du die christlich-soziale Kanzlerkandidatur in Österreich von 1934-1938?
1 - 6 / 6 Meinungen
05.06.2020 11:22 Uhr
Der Link im Hintergrund fasst es gut zusammen:

" in Wahrheit handelte es sich um eine Diktatur der 1933 als Einheitspartei des Dollfuß-Regimes gegründeten Vaterländischen Front. "
05.06.2020 11:23 Uhr
Ich denke, dass man die politischen Eckpfeiler des Ständestaats und seiner handelnden Personen gelöst sehen muss von anderen politischen Modellen. Auch wenn man auch den Hang zu autoritären Lösungen im Gesamtkontext der Zeit sehen muss, wo standfeste Demokratie in Mitteleuropa eher Ausnahme und man rasch den Weg vom Konsens hin zu einer Lösung im eigenen Sinne fand

Die Problematik beginnt wohl weit vor dem Jahre 1933 und weit vor einer Zeit, wo man einer Imitation Deutschlands oder eines Konkurrenzfaschismus zu Deutschland sprechen kann, wo die Person Hitlers selbst noch ein unbedeutender Bierzeltredner war.
Die Gemeinsamkeiten der christlich-sozialen Partei und der Sozialdemokratie waren wohl von Anfang endend wollend. Bereits 2 Jahre nach Ausrufung der Republik kam es zum Koalitionsbruch.

Damals waren auch die politischen Gegensätze bei weitem großer und erschienen den politischen Lagern unüberbrücklich.

Wir haben hier zwei Parteien, welche sich immer weiter auseinanderentwickelten. Wir haben hier die heute absurd anmutende Situation, dass die Parteien über Wehrverbände verfügten und hier wohl einen Gang zu einer immer weiter militarisierenden Gesellschaft.

Zitat:
Wenn sich aber die Bourgeoisie gegen die gesellschaftliche Umwälzung, die die Aufgabe der Staatsmacht der Arbeiterklasse sein wird, durch planmäßige Unterbindung des Wirtschaftslebens, durch gewaltsame Auflehnung, durch Verschwörung mit ausländischen gegenrevolutionären Mächten widersetzen sollte, dann wäre die Arbeiterklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen.


Dieser Absatz findet sich im Linzer Parteiprogramm von 1926. Man kann sich wohl ausmalen, wie verschreckend dies sich auf bürgerliche Menschen auswirkt.

1927 kam es dann zu den Urteilen im Schattendorfer Prozess. Das waren sicher Fehlurteile. Erläuterung: In Schattendorf marschierten Frontkämpferbund und die sozialdemokratische Parteiarmee Schutzbund gleichzeitig auf. Aus dem Wirtshaus wurde auf die Sozialdemokraten geschossen. Die Schützen wurden trotz Toter freigesprochen.

In Folge kam es zu Demonstrationen, bei denen die sozialdemokratische Basis sicher auch verstärkt durch Kommunisten der Partei aus der Kontrolle entglitt und in Folge der Justizpalast brannte.

Die Polizei schoss dann zur Auflösung in die Demonstration. Das Linzer Programm und der Justizpalast sind m.E starke Wegweiser in die Richtung Bürgerkrieg.
Da haben beide Seiten Fehler gemacht. Den Hauptfehler machten die Sozialdemokraten 1931 als ihnen nach dem Bankrott der Creditanstalt Seipel das Offert eines Regierungseintrittes machte. Sie lehnten diesen ab.

Bei der Parlamentsausschaltung machten es die Sozialdemokraten der Regierung leicht. Es kam zu einer Abstimmung, wo man sich verzählte und es kam zu wüsten Diskussionen. Zuerst trat der 1. Nationalratspräsident zurück. Dies war der Sozialdemokrat Karl Renner. Dann auch der christlich-soziale und dann der großdeutsche.

Ohne diese Vorgeschichte – auch kein Verständnis für den Februar 1934.

Aber jetzt zur Frage selbst. Ich halte es für falsch, dass man die Grundlagen des Ständestaates als faschistisch ansieht.

a) waren die ideologischen Grundlagen in der päpstlichen Enzyklika „Quadragesimo anno“

b) war die christlich-soziale Partei erst im Herbst 1933 auf den Dampfer aufgestiegen, dass man in autoritäre Richtungen zielte,

die Gefährdung der österreichischen Souveränität von außen gegeben war

die deutschnationale Partei, immer mehr ins braune Wasser fuhr

die Sozialdemokratie nicht bereit war, den Schwenk hin zum österreichischen Nationalbewusstsein zu vollziehen war, den man betreiben wolle und sie den Anschluss nur temporär aussetzen wollte.


Hier eben nur die christlich-soziale Partei und der Heimatblock bereit waren für die österreichische Sache, ohne wenn und aber und für den neuen österreichischen Weg bereit waren.

Tatsache ist auch, dass wir im Rahmen der Folge durchaus auch die Frage uns stellen dürfen, ob die Sozialdemokratie nicht auch sich an der Nase zu fasen hat und nicht immer mit dem Finger zeigen sollte.

Bernaschek hat als erster bei der Waffensuche im Hotel Schiff geschossen, auch das wäre noch zu erwähnen.

Zitat:
Der Ständestaat stellt die Summe bürgerlicher Revisions- und Restaurationspolitik gegen das System des November 1918 dar. Seine bestimmenden Faktoren Antimarxismus und Antibolschewismus, Destruktion der parlamentarisch-demokratischen Ordnungsprinzipien, Antiliberalismus und Staatsvorstellungen des politischen Katholizismus mündeten in der Konstruktion eines autoritären, ständisch gegliederten Staates im Rahmen der Maiverfassung des Jahres 1934.“


– Gerhard Jagschitz: Der österreichische Ständestaat

Ich möchte mal hier zur Diskussion stelle, ob diese Schnittmengen sich mit dem Nationalsozialismus finden lassen. Schon allein der politische Katholizismus ist hier wohl eindeutig keine Gemeinsamkeit.

Im weiteren Rahmen würde ich mir den Staatsaufbau auch zu Gemüte führen, der zwar nicht zu Umsetzung kam.

Im weiteren Rahmen würde ich diese Diskussion gerne gelöst von Schauermärchen und Gleichmacherei führen.

Möchte ich auch die Rolle Österreich im Widerstand gegen das 3. Reich nicht schmälern. Immer bereitete Österreich mit der Niederschlagung des Juliputsches, dem 3. Reich die einzige wirkliche außenpolitische Niederlage vor 1943.

05.06.2020 11:50 Uhr
@Autriche:
Ich denke, für Deutschland und Österreich ist wenig strittig, dass in den Jahren nach 1918/19 von fast allen Seiten mehr oder weniger gravierende Fehler gemacht wurden. Ob es den damaligen Akteuren bewusst war, dass es Fehler sind, weiß ich nicht. Hinterher ist man immer schlauer.

Ich denke, z.B. die angesprochenen Urteile sind auch dem geschuldet, dass die Rechtssprechung noch nicht in einer Demokratie mit Gewaltenteilung usw. angekommen war.

Es war sicher nicht hilfreich, dass der sozialdemokratische Nationalratspräsident zurückgetreten ist.

Hilfreich war ebenfalls nicht, dass Miklas in der ganzen Geschichte weitgehend untätig war.

Und wenn du ansprichst, dass die Sozialdemokraten nicht in die Regierung Seipel eingetreten sind, muss man sagen, dass die Sozialdemokraten 1930 stärkste Kraft wurden und es auch nicht damaligen Gepflogenheiten entsprach, dass die größte Partei unter einem Kanzler der zweitgrößten Partei regiert.

Aber ganz unabhängig davon, gab es am Tag der Parlamentsausschaltung keinerlei zwingende Notwendigkeit, dass Dollfuß das genau so machen musste, wie er es gemacht hat. Er hätte selbstverständlich gemäß der normalen demokratischen Gepflogenheiten (Wahl durch Parlament, Unterstützung durch Parlament) regieren können. Er wollte es jedoch nicht.
05.06.2020 12:22 Uhr
@J.Bercow

Ich würde mal sagen, dass generell der gemeinschaftliche Wille gefehlt hat. Konsens war allenfalls: Wenn der andere gewinnt, dann werde ich unterdrückt.

Das war der Punkt, der sie einte.

Das war nicht zum Vorteil des gemeinsamen Vaterlandes.

Der Lehrer, der uns lernte, dass man gemeinsam stehen muss und auch mal über den Schatten springen muss, dessen Name war Adolf Hitler.

Ein teurer Nachhilfelehrer. Sowas muss man sich nicht leisten, sowas kann man sich nicht leisten, wie man 1945 sah.

Teilweise ging dieses gegenseitige Misstrauen ja leider bis ins Exil weiter.
05.06.2020 12:27 Uhr
Zitat:
Ich würde mal sagen, dass generell der gemeinschaftliche Wille gefehlt hat. Konsens war allenfalls: Wenn der andere gewinnt, dann werde ich unterdrückt.


Definitiv.

Das werfe ich ganz deutlich auch der deutschen KPD in der Weimarer Republik vor. Da hat man Prinzipien über Menschenleben gestellt, nicht nur über die eigenen Leben.
06.06.2020 01:24 Uhr
Interessantes politisch-ideologisches Experiment. Vermutlich hätten wir in Deutschland Ähnliches bekommen, wenn Stauffenbergs Attentat funktioniert hätte.

Aber die Demokratie hatte in Österreich zu dieser Zeit sowieso keine Chance, wenn die drei Lager Sozialisten, Christlichsoziale und Nazis waren. Keiner von denen wollte doch ernsthaft eine richtige Demokratie.

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