Thema: Handelskapital und IndustriekapitalNeuer Beitrag
Von: mauli_ Das Volk 31.01.2021 14:10 Uhr
Der Handel ist älter als der Kapitalismus und Handelskapital war die historisch erste Form des Kapitals überhaupt. Der Zweck des Handels heißt billig einkaufen und teuer verkaufen. Dieser Zweck scheint dem kapitalistischen Prinzip des Austauschs gleicher Werte zu widersprechen und Händler – als Geldhändler wie als Warenhändler – galten in vielen Kulturen als Verkörperung der Lüge, des Betruges, der Übervorteilung. Diesen schlechten Ruf haben sich die Händler in alter Zeit redlich verdient:

„Solange das Handelskapital den Produktenaustausch unentwickelter Gemeinwesen vermittelt, erscheint der kommerzielle Profit nicht nur als Übervorteilung und Prellerei, sondern entspringt großenteils aus ihr.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 343

Im entwickelten Kapitalismus besitzt das Handelskapital immer noch Mittel, um seine Käufer übers Ohr zu hauen, aber Betrug und Übervorteilung macht nicht mehr das Wesen des Handels aus.
Das Wesen des Handels im Kapitalismus ist die ständige Verwandlung von Warenkapital in Geldkapital und von Geldkapital in Warenkapital.


Das industrielle Kapital produziert zwar Waren, aber kein Geld. Damit der kapitalistische Produktionsprozess immer wieder von Neuem beginnen kann, muss die produzierte Ware erst in Geld verwandelt werden.
Der Gesamtkreislauf des Kapitals sieht so aus:
Geld verwandelt sich in die Warensorten Produktionsmittel und Arbeitskraft W(prod+arb) . In der Produktion wird Neuware W‘ von vergrößertem Wert produziert. Diese Neuware W‘ wird verkauft und damit in Geld G‘ verwandelt. Erst mit diesem (vermehrten) Geld G‘ kann die Produktion auf gleicher oder auch vergrößerter Stufenleiter fortgesetzt werden.


Als Kurzformel sieht dieser Kreislauf so aus:
G – W(prod+arb) ... Produktion ... W‘ – G‘.


Es gibt in diesem Kreislauf zwei Phasen der Zirkulation und eine Phase der Produktion.
Der Ankauf der Produktionsmittel (G – Wprod+arb) findet ebenso in der Zirkulation statt wie der Verkauf der Neuware (W‘ – G‘).
Auf diese beiden Phasen der Zirkulation konzentriert und spezialisiert sich das Handelskapital im Kapitalismus.

„Die Verwandlung von Ware (Produkt) in Geld und von Geld in Ware (Produk­tions­mittel) ist eine notwendige Funktion des industriellen Kapitals und daher not­wendige Operation des Kapitalisten ... Der Kaufmann, indem er diese Operatio­nen vollzieht ..., tritt bloß an die Stelle des industriellen Kapitalisten.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 300f.

„Das Warenhandlungskapital nun ist nichts als die verwandelte Form eines Teils dieses beständig auf dem Markt befindlichen, in dem Prozess der Verwandlung befindlichen und stets von der Zirkulationssphäre umfangenen Zirkulationskapitals....“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 279f.


Um das zu illustrieren, nehme ich als Beispiel ein Kapital von 100. (Die 100 mögen Milliarden oder Billionen Euro oder auch eine Prozentangabe darstellen.)
Mit diesem Kapital von 100 wird in der Produktion eine Produktmenge W‘ im Wert von 120 geschaffen. Diese Produktmenge W‘ = 120 wurde allein vom industriellen Kapital geschaffen. Ihr Wert teilt sich wie alle Ware in konstantes Kapital c plus variables Kapital v plus Mehrwert. Als Formel: W‘ = c + v + m = 120, wobei m = 20.
Das Gesamtprodukt von W‘= 120 muss komplett versilbert, in Geld verwandelt werden, sonst wurde Arbeit und Produktionsmittel verschwendet.

Einen Teil der Produktionsmittel verkaufen die industriellen Kapitalisten direkt untereinander. In Deutschland macht das gegenwärtig knapp ein Drittel des Produktionsvolumens aus.
Von dem Gesamtprodukt W‘=120 werden also rund W‘= 40 ohne Zwischenhandel von Kapitalist an Kapitalist verkauft und in Geld verwandelt. Die Produktmenge W‘=40, die die industriellen Kapitalisten untereinander kaufen und verkaufen, enthält prozentual so viel Mehrwert wie das Gesamtprodukt, also 20% oder 8. Die W‘=40 teilen sich also auf in W‘= 32(c + v) + 8m.

Bleibt noch die Produktmenge von W‘=80, die verkauft werden muss. Diese 80 enthalten ebenfalls 20 % Mehrprodukt, macht 16m. Die verbliebenen W‘=80 teilen sich also in W‘= 64(c + v) + 16m.

Da die industriellen Kapitalisten die noch nicht verkauften Waren W‘=80 nicht ohne die Handelskapitalisten in Geld verwandeln können, teilen sie den verbliebenen Mehrwert 16m mit dem Handelskapital.
Im entwickelten Kapitalismus wird „der kaufmännische Profit reduziert auf den Anteil des Gesamtmehrwerts, der dem Handelskapital als einem Anteil des im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess beschäftigen Gesamtkapitals zukommt.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 298.


„Da das Kaufmannskapital selbst keinen Mehrwert erzeugt, so ist klar, dass der Mehrwert, der in der Form des Durchschnittsprofits auf es fällt, einen Teil des von dem gesamten produktiven Kapital erzeugten Mehrwerts bildet.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 293.
Es ist also das Mehrprodukt von W‘=16m in dem Verhältnis ihrer jeweiligen Kapitalgrößen von Industriekapital und Handelskapital zu teilen.
Wenn wir annehmen, dass sich das ursprüngliche Kapital von 100 aufteilt in ein industrielles Kapital von 81 und ein Handelskapital von 19, dann ist anzunehmen, dass auf das Industriekapital 81% des verbleibenden Mehrwerts entfällt und auf das Handelskapital entfallen 19 % des Mehrwerts. Das industrielle Kapital beansprucht also 81% des Mehrwerts von W‘=16m, macht rund gerechnet W‘=13m. Das Handelskapital beansprucht 19 Prozent des Mehrwerts von 16m, macht W‘=3m.


Der Profit, den ein Kapital bestimmter Größe abwirft, ist im Handel mehr oder minder derselbe wie in der Industrie.
„... Da die Zirkulationsphase des industriellen Kapitals ebenso sehr eine Phase des Reproduktionsprozesses bildet wie die Produktion, muss das im Zirkulationsprozess selbständig fungierende Kapital ebenso sehr den jährlichen Durchschnittsprofit abwerfen wie das in den verschiedenen Zweigen der Produktion fungierende Kapital. Würfe das Kaufmannskapital einen höheren prozentualen Durchschnittsprofit ab als das industrielle Kapital, so würde sich ein Teil des industriellen Kapitals in Kaufmannskapital verwandeln. Würfe es einen niedrigeren Durchschnittsprofit ab, so fände der umgekehrte Prozess statt. Ein Teil des Kaufmannskapitals würde sich in industrielles verwandeln. Keine Kapitalgattung hat größere Leichtigkeit ... ihre Funktion zu ändern, als das Kaufmannskapital.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 293.

„Aber die Frage ist nun die: Wie zieht das Kaufmannskapital den ihm zufallenden Teil des vom produktiven Kapital erzeugten Mehrwerts oder Profits an sich? Es ist nur Schein, dass der kaufmännische Profit bloßer Zuschlag, nominelle Erhöhung des Preises der Waren über ihren Wert ist.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 293.


Die industriellen Kapitalisten verkaufen das verbliebene Warenkapital von W‘=80 NICHT zu ihrem vollen Wert an die Handelskapitalisten, sondern abzüglich des Handelsprofits von W‘=3. Das industrielle Kapital verkauft das Warenkapital für 77 an das Handelskapital und der Handel verkauft dann dieses Produkt für 80 an die Verbraucher. So realisiert der Handel den Mehrwert 3m. Das ist das Geheimnis des Handelsprofits. Der Handel verkauft teurer als er einkauft. Aber sein Verkaufspreis steht NICHT ÜBER dem Wert der Ware. Der Handel verkauft die Waren zu ihrem Wert. Es ist sein Einkaufspreis, der UNTER dem Wert der Ware steht.
Das Gesamtkapital verwandelt damit sein Gesamtprodukt von W‘=120 einschließlich des Mehrwerts 20 in Geld. Die Verwandlung von Ware in Geld ist damit vollzogen und der Kreislauf des Kapitals kann von Neuem beginnen.


Angenommen, die Kaufleute können die Warenmenge 80 nicht oder nicht vollständig verkaufen, dann können sie die nächsten 80 aus dem nachfolgenden Produktionsprozess nicht kaufen. Sie haben ja die vorherige Warenmenge noch nicht zu Geld gemacht.

„Es tritt dann Stockung ein, Unterbrechung der Reproduktion. ... Hier zeigt es sich also in der Tat handgreiflich, dass die Operationen des Kaufmanns weiter nichts sind als die Operationen, die überhaupt verrichtet werden müssen, um das Warenkapital des Produzenten in Geld zu verwandeln... .“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 281.


„Das Kaufmannskapital ist nichts als innerhalb der Zirkulationssphäre fungierendes Kapital. ... Aber im Zirkulationsprozess wird kein Wert produziert, also auch kein Mehrwert. Es gehen nur Formveränderungen derselben Wertmasse vor. ... Wird beim Verkauf der produzierten Ware ein Mehrwert realisiert, so, weil dieser bereits in ihr existiert ...“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 290f.

„Im Gegenteil. Soweit diese Verwandlungen Zirkulationszeit kosten – eine Zeit, innerhalb deren das Kapital überhaupt nicht, also auch keinen Mehrwert produziert –, ist sie Beschränkung der Wertschöpfung, ... Das Kaufmannskapital schafft daher weder Wert noch Mehrwert, d. h. nicht direkt.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 291.


Das Handelskapital hilft aber indirekt, das Gesamtprodukt und damit auch den produzierten Mehrwert zu vergrößern:
„Sofern es zur Abkürzung der Zirkulationszeit beiträgt, kann es indirekt den vom industriellen Kapitalisten produzierten Mehrwert vermehren helfen.
Soweit es den Markt ausdehnen hilft und die Teilung der Arbeit zwischen den Kapitalisten vermittelt, also das gesellschaftliche Kapital befähigt, auf größerer Stufenleiter zu arbeiten, befördert seine Funktion die Produktivität des industri­ellen Kapitals und dessen Akkumulation.

Soweit es die Umlaufszeit abkürzt, erhöht es das Verhältnis des Mehrwerts zum vorgeschossenen Kapital, also die Profitrate.
Soweit es einen geringeren Teil des Kapitals als Geldkapital in die Zirkulationssphäre einbannt, vermehrt es den direkt in der Produktion angewandten Teil des Kapitals.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 291.


Nehmen wir an, die Arbeitsproduktivität im Handel steigt, dann wird in kürzerer Zeit und von weniger Lohnarbeitern im Handel dieselbe Warenmenge umgeschlagen. Die produktiveren Händler konzentrieren mehr Umsatz auf sich und vertreiben die weniger produktiven Geschäfte. Die Zahl der Geschäfte und die im Handel beschäftigten Arbeiter sinken. Dann nimmt das Handelskapital einen relativ geringeren Umfang des Gesamtkapitals ein.
Statt wie oben angenommen, macht das Handelskapital nicht mehr 19% des Gesamtkapitals, sondern vielleicht 10%. Dann entfallen auch nicht mehr 19%, sondern nur noch 10% des Gesamtprofits auf das Handelskapital. Von einer Warenmenge 80 mit einem darin enthaltenen Mehrwert von 16m erhält das Handelskapital statt 3m nur noch 1,6m. Der Profit des industriellen Kapitals wächst von 13m auf 14,4m.
Das erklärt die Gelassenheit aller Kapitalisten, wenn im Handel tausende Verkäuferinnen auf die Straße geworfen werden. Dadurch hebt sich der Profit aller anderen Kapitalisten.


Was Marx vom Handelskapital sagt, dass es INDIREKT das gesellschaftliche Kapital und den produzierten Mehrwert vergrößern kann, gilt selbstverständlich auch von den Zirkulationsarbeitern, die das Handelskapital beschäftigt und ausbeutet.
Es ist ganz falsch zu sagen, die Zirkulationsarbeit und die Zirkulationsarbeiter seien unproduktiv.
Marx definiert den produktiven Arbeiter im Kapitalismus doppelt:

„Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 532.

Die Zirkulationsarbeiter produzieren nicht direkt Mehrwert. Ihre Aufgabe für das Kapital ist eine andere als die der Industriearbeiter. Ihre Arbeit dient nur indirekt der Mehrwertproduktion, aber ihre Arbeit dient direkt und unmittelbar der Selbstverwertung des Kapital bei seinen Verwandlungen von Geldkapital in Warenkapital und von Warenkapital in Geldkapital. Deshalb sind die Zirkulationsarbeiter Teil des produktiven Gesamtarbeiters im Kapitalismus.


„Der kommerzielle Arbeiter produziert nicht direkt Mehrwert. Aber der Preis seiner Arbeit ist durch den Wert seiner Arbeitskraft, also deren Produktionskosten, bestimmt, während die Ausübung dieser Arbeitskraft, als eine Anspannung, Kraftäußerung und Abnutzung, wie bei jedem anderen Lohnarbeiter, keineswegs durch den Wert seiner Arbeitskraft begrenzt ist. Sein Lohn steht daher in keinem notwendigen Verhältnis zu der Masse des Profits, die er dem Kapitalisten realisieren hilft. Was er dem Kapitalisten kostet, und was er ihm einbringt, sind verschiedene Größen. Er bringt ihm ein, nicht indem er direkt Mehrwert schafft, aber indem er die Kosten der Realisierung des Mehrwerts vermindern hilft, soweit er, zum Teil unbezahlte, Arbeit verrichtet.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 311.


(Diese Gedanken reiften bei winterlichen Wanderungen im Harz und sind meinem verschollenen Mitstreiter und Genossen Robert Schlosser gewidmet)


Wal Buchenberg, 19. Dezember 2016